"Wie lieblich sind deine Wohnungen, HERR Zebaoth!"
"Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen."
Die alte, zuletzt 1640 renovierte Kirche in Diedenbergen war zu klein und baufällig geworden. Eine ganz neue Kirche sollte erbaut werden, wie es in der Chronik aus dem Jahr 1725 heißt: „Nachdem das Altertum der Zeit, Holz und Steine, unsere vorige Kirche dergestalt verzehret, da ein plötzlich, schrecklich und baulicher Einsturz derselben zu befürchten, so hat es die Not erfordert, dass selbige mit gnädigster Einwilligung unseres gnädigst regierenden Fürsten und Herrn Ludwig VIII., des durchlau(ch)tigsten Landgrafen von Hessen Darmstadt, Fürst zu Hirschfeld pp, auf hohen Befehl des Hochlöblichen Consistorio zu Darmstadt, mit Hülfe und Vorsorg derer Herrn Beamten zu Wallau, und unter besonderer Aussicht des Herrn Lorenz Friedrich Müller, Fürstlicher Darmstädtischer Baudirector abgebrochen wurde, und also ganz neu, wie ein Vogel Phönix aus der Aschen auferstehen möge." (Heimatgeschichtliches Manuskript Nr. 23, folgend: MS 23, S. 672)
Wieso war dies nötig? Was wissen wir von Diedenbergen und einer Kirche aus dieser Zeit? Gehen wir ein paar Schritte zurück. 1469 bestand eine „Liebfrauenkirche", die vor der Reformation Filial von Marxheim war – ebenso wie das verschwundene Dorf Harpach. Dagegen wurde Diedenbergen mit der hessischen Herrschaft Eppstein 1535 evangelisch, da es im Besitz der protestantisch gewordenen Herren von Stollberg war. Während des Dreißigjährigen Krieges war Diedenbergen evangelisch-lutherisch, da es seit dem hessischen Bruderzwist und der Erbteilung 1568 zur Herrschaft des Hessen-Darmstädtischen Landgrafs Georgs I. gehörte. Aber es hatte keine eigene Pfarrei.
Wie die alte Kirche aussah, wissen wir nicht. Die älteste Darstellung des Kartographen Wilhelm Dilich etwa aus dem Jahr 1609 zeigt eine Kirche mit schiefergedecktem Turm im Mittelpunkt des Dorfes. In der Chronik steht, dass diese Kirche mitsamt dem Dorf während des Dreißigjährigen Krieges, genau am 19. Juni 1635 von den Mansfeldischen Soldaten verbrannt wurde. Noch wahrscheinlicher ist es jedoch, dass Diedenbergen im genannten Jahr von den in Nördlingen geschlagenen und sich zurückziehenden Truppen des protestantischen Schwedenkönigs Gustaf Adolf gebrandschatzt und ausgeraubt wurde.
Wieso verwüsten Protestanten jedoch ein evangelisches Dorf? – Konfessionsgrenzen waren in diesen Zeiten verwischt, außerdem ging es den Söldnern ums bloße Überleben. Es kommt hinzu, dass die Situation in dieser Region besonders schwierig war, da der zuständige Darmstädter Landgraf zwar der evangelisch-lutherischen Konfession angehörte, jedoch teils neutral, teils auf Seiten des katholischen Kaisers war, den er als Obrigkeit anerkannte.
Den Diedenbergenern wird es letztlich egal gewesen sein, wer ihnen das Dorf angezündet hat. Die Gemeinde renovierte ihre Kirche noch im selben Jahr. In einem Kirchenbucheintrag aus dem Jahr 1640 heißt es: „Es ist hierselbst eine Kirche mitten im Dorf gelegen, um welche befindlich die Pfarr-, Schul-, Back und Rathäuser, und auf der Ostseite ein frei-adeliger Hof." (MS 23, S. 670) Diedenbergen hatte wie die meisten Dörfer des Main-Taunus-Kreises etwa zwei Drittel seiner Bevölkerung im Dreißigjährigen Krieg verloren. Während 1656 gerade 26 steuerpflichtige Einwohner verzeichnet sind, stieg bis 1699 die Bevölkerungszahl wieder an. Der erste Chronikband der evangelischen Kirchengemeinde weist 1699 genau 235 Einwohner (ohne Kinder) aus:
Die Einwohnerzahl in den nächsten 50 Jahren stieg weiter.
1703 wurde Diedenbergen selbstständige Pfarrei und sogar Mutterkirche der Gemeinden Marxheim, Wicker, Weilbach, Hochheim und Hofheim. Der ab 1704 zuständige Pfarrer J.G. Moter war nun alleine für die Gemeinde Diedenbergen mit ihren knapp 300 Einwohnern zuständig und bekam im folgenden Jahr ein eigenes Pfarrhaus gebaut – mit Scheune, Ställen, Kelterhaus und eigenem Brunnen im Keller.
1725 kam es zu einem Umbau der Kirche. In der in Latein geschriebenen Chronik stehen folgende Gründe:
Die Männer müssten hinter die Frauen zu sitzen kommen, daher sollte die Kirche in Längsbauweise verändert werden – so wie es in dieser Gegend sowieso üblich war.
Obwohl der Chronikband der Jahre 1729 bis 1816 verschollen ist, konnte Hans Nixdorff anhand der Schulchronik viele Details des Kirchenbaus rekonstruieren und im heimatgeschichtlichen Manuskript Nr. 23 dargelegen.
Seit 1733 und bis 1760 war Andreas Pilger aus Thüringen hier Pfarrer. Er berichtete, dass aufgrund der „guten Haushaltung der Gemeinde in den Jahren 1700 bis 1750" ein Neubau möglich wäre. Am 19. Juli 1754 wurde Grundsteinlegung unter Gebet und Lobgesang gefeiert und folgende Dinge von Pfarrer Pilger zum Grundstein hinzu gegeben und in der Ecke an der heutigen Casteller Straße eingemauert:
Am 6. November 1755 war die neue Kirche fertig. Die Gesamtrechnung belief sich auf 17.525 Gulden – einschließlich des für den Kirchenbau zurückgekauften Bauwaldes und des Schulhauses (heute Pfarrgartenstraße 10). Dies entspricht in etwa einer halben Million Euro.
Die Inschrift über unserem Kirchenportal nennt die am Neubau der Kirche maßgeblich beteiligten – so zunächst den Landgraf von Hessen-Darmstadt Ludwig VIII., unter dessen Regierung die Kirche erbaut wurde.
Auch Nachforschungen von Ernst Schütz haben ergeben, dass der Kirchenbau in Diedenbergen vom Landesherren besonders gefördert wurde – so arbeiteten hier acht zum Teil hochkarätige Handwerker aus Darmstadt, der Landeshauptstadt, während beim Neubau der Kirche in Wallau 1741 nur lokale Handwerker beschäftigt wurden. „In Diedenbergen in der Herrschaft Eppstein entstand 1754/55 einer der großzügigsten Kirchenbauten des 18. Jahhunderts in der Langrafschaft Hessen-Darmstadt. (...) Im Inneren hatte Lorenz Friedrich Müller die Gelegenheit, ohne Rücksicht auf traditionelle Dispositionen wie in Wallau und ohne die Einschränkung durch einen kleinen Bauplatz wie in Nauheim einen großen Kirchenraum frei gestalten zu können.", so der Kunsthistoriker Frank Schmidt. Das prächtige Turmkreuz und der Wetterhahn z.B. wurden vom berühmten Darmstädtischen Hofmaler Johann Conrad Seekatz (der Chronist schreibt fälschlich „Sergatz") vergoldet.
Es bleibt aber unklar, weshalb gerade die Diedenbergener Kirche vornehmlich von Darmstädter Handwerksmeistern und so groß und mit dem verhältnismäßig hohen Turm gebaut wurde - obwohl der Landgraf bei Besuchen in der Gegend im Amtsort Wallau übernachtete. Karl Köhler erklärt dies so, dass der Hessen-Darmstädtische Landgraf von Darmstadt aus am Diedenbergener Kirchturm die Grenze seiner Herrschaft sehen konnte. (MS 23, S. 686) Dies würde zum Bild eines Landgrafen passen, dem persönliche Projekte wichtiger waren als die finanziellen Möglichkeiten. Ein bis heute gepflegte (Un)-Sitte mit Vor- und Nachteilen für die Nachwelt.
Eine noch ausführlichere Version dieser Kirchenbaugeschichte ist nachzulesen in der Festbroschüre „250 Jahre Evangelische Kirche Diedenbergen".
Silke Dorer-Gommermann